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13.01.2021 – Studie: UV-Strahlen wirken sich positiv auf die MS aus – Aber: Schutz empfindlicher Haut nicht vernachlässigen 

Die Wahrscheinlichkeit an Multipler Sklerose (MS) zu erkranken nimmt zu, je mehr man sich dem Nord- oder Südpol nähert. Das stellte der US-Epidemiologe Gil Beebe schon 1967 fest. Er hatte Soldaten beobachtet, die mit ihren Familien überall auf der Welt stationiert waren. So entstand erstmals die Annahme, dass Multiple Sklerose irgendwie mit der Sonneneinstrahlung zusammenhängt. Doch der genaue Einfluss von ultraviolettem Licht auf die entzündliche Erkrankung des Nervensystems blieb jahrzehntelang ungeklärt. Beeinflusst die Sonne nur die Wahrscheinlichkeit, überhaupt an MS zu erkranken? Oder sind einzelne Menschen auch unterschiedlich schwer betroffen, je nachdem wo sie wohnen? Wissenschaftler des Kompetenznetz MS (KKNMS) und des Sonderforschungsbereiches Multiple Sklerose (SFB TR128) der DFG beantworten nun beide Fragen mit „Ja“. Und sie zeigen noch mehr: UV-Licht löst im Körper von MS-Patienten ganz ähnliche Prozesse aus wie das Medikament Interferon. 

„Sonnenlicht beeinflusst den Schweregrad der MS offenbar positiv“, erklärt Prof. Dr. Nicholas Schwab von der Klinik für Neurologie in Münster und Leiter der groß angelegten Untersuchung. Dies ist die wichtigste Erkenntnis der Studie, die nun im Fachblatt PNAS veröffentlicht wurde. Für ihre Arbeit werteten die Wissenschaftler die Daten von nahezu 2000 MS-Patienten aus. „Die Kooperation im Kompetenznetz MS lieferte uns eine hochwertige Datenbasis, mit der wir verschiedene Blickwinkel einnehmen konnten“, erläutert Prof. Dr. Heinz Wiendl, Sprecher des Netzwerks und Leiter der Universitätsklinik für Neurologie in Münster. Die ausführlichen Patientendaten entstammen der NationMS-Kohorte des Netzwerks, einer großen nationalen longitudinalen Kohorte mit inzwischen 1400 Patienten. Nur so konnten die Wissenschaftler bei ihrer Analyse zahlreiche Einflussfaktoren berücksichtigen, darunter Wohnort, Geschlecht, und Lebensweise, aber auch die genetische Prädisposition für Sonnenempfindlichkeit.

Die Ergebnisse der Studie deuten darauf hin, dass UV-Licht und MS schon auf einem relativ kleinen Gebiet wie Deutschland mit einer Nord-Süd-Ausdehnung von knapp 1000 km zusammenhängen. Die aktiven Entzündungsherde in Gehirn und Rückenmark und auch der Beeinträchtigungsgrad nehmen von Süd- nach Norddeutschland im Mittel zu. Im Gegenzug nimmt der saisonbereinigte Vitamin D-Spiegel – wie auch die Sonneneinstrahlung – gen Norden ab. Bereits seit Jahren wird angenommen, dass Vitamin D unter anderem das Immunsystem beeinflusst und entzündungshemmend wirkt. Dies hatten auch die Wissenschaftler aus Münster 2014 schon in einer kleinen Studie untersucht. Doch schon damals ahnten sie: Vitamin D kann nicht alles sein. Die Sonne beeinflusst die MS noch auf weiteren Wegen. Die aktuelle Studie gibt ihnen Recht.

Um zu bestätigen, dass Sonnenlicht Ursache für die Unterschiede ist, zogen die Forscher Daten der NASA zu Rate. In einem sehr aufwändigen Verfahren schätzten sie die Menge an UV-Licht, der die Probanden im Jahr vor der Untersuchung im Schnitt ausgesetzt waren. Die Daten stützen das Ergebnis: Nimmt die Sonneneinstrahlung zu, nehmen die MS-Beschwerden im Mittel ab. 

Es gab jedoch eine Ausnahme: Wurden Patienten zuvor mit Interferon-beta behandelt, wirkte das Sonnenlicht nicht mehr. Das zeigten die MS-Forscher mithilfe von Daten aus einer Studie von französischen Kooperationspartnern. Sie haben dafür zwei mögliche Erklärungen. Einerseits kann Interferon-beta selbst der Auslöser sein, indem es die Vitamin-D-Produktion verändert. Das natürliche Nord-Süd-Gefälle beim Vitamin D-Spiegel könnte so aufgehoben werden. Andererseits könnte das Sonnenlicht ursächlich sein, denn: UV-Licht regt den Interferon-Signalweg an, wie die Wissenschaftler bei einer Analyse von Gensequenzen feststellten. „Das ist interessant, da wir wissen, dass die MS gut auf die Behandlung mit Interferon-beta anspricht“, sagt Patrick Ostkamp, Autor der Studie. Bei Patienten, die bereits mit Interferon behandelt werden, sind die Effekte des Sonnenlichts, die auch über Interferon vermittelt werden, nicht mehr festzustellen. Denn der Signalweg kann nur einmal angeregt werden – entweder von Interferon oder von UV-Licht. Beides zusammen gibt keinen Zusatznutzen. Man kann sich das wie bei einem Glas mit Wasser vorstellen: Ist es einmal voll, läuft zusätzliche Flüssigkeit über den Rand. Trotz allen Nutzens gilt natürlich auch für MS-Patienten: übermäßige UV-Strahlung kann schädlich sein. Intensives Sonnenbaden fördert die Entstehung von Hautkrebs, insbesondere bei hellhäutigen und rothaarigen Menschen. Sie tragen eine genetische Variante des Melanocortin-1-Rezeptors (MC1R), der für die Bildung von hautschützendem Melanin zuständig ist. Bei Trägern einer bestimmten Variante des MC1R war der Zusammenhang zwischen Breitengrad und MRT-Aktivität umgekehrt, „ein mehr an Sonnenlicht war also nicht nur für die Haut, sondern auch für die MS schädlich“ „, sagt Prof. Wiendl. Er rät dazu, sich bei der persönlichen Sonnenexposition an die Vorgaben der Weltgesundheitsorganisation zu halten. Eine halbe Stunde Sonne pro Tag ist danach für die meisten Menschen sinnvoll – auch und gerade, wenn sie unter Multipler Sklerose leiden.

  • [1] Patrick Ostkamp, Anke Salmen, Béatrice Pignolet, Dennis Görlich, Till F M Andlauer, Andreas Schulte-Mecklenbeck, Gabriel Gonzalez-Escamilla, Florence Bucciarelli, Isabelle Gennero, Johanna Breuer, Gisela Antony, Tilman Schneider-Hohendorf, Nadine Mykicki, Antonios Bayas, Florian Then Bergh, Stefan Bittner, Hans-Peter Hartung, Manuel A Friese, Ralf A Linker, Felix Luessi, Klaus Lehmann-Horn, Mark Mühlau, Friedemann Paul, Martin Stangel, Björn Tackenberg, Hayrettin Tumani, Clemens Warnke, Frank Weber, Brigitte Wildemann, Uwe K Zettl, Ulf Ziemann, Bertram Müller-Myhsok, Tania Kümpfel, Luisa Klotz, Sven G Meuth, Frauke Zipp, Bernhard Hemmer, Reinhard Hohlfeld, David Brassat, Ralf Gold, Catharina C Gross, Carsten Lukas, Sergiu Groppa, Karin Loser, Heinz Wiendl, Nicholas Schwab, German Competence Network Multiple Sclerosis (KKNMS) and the BIONAT Network. Sunlight exposure exerts immunomodulatory effects to reduce multiple sclerosis severity. Proc Natl Acad Sci U S A. 2021 Jan 5;118(1):e2018457118.

Das Krankheitsbezogene Kompetenznetz Multiple Sklerose (KKNMS) ist eines von bundesweit 21 Kompetenznetzen in der Medizin, die vom Bundesministerium für Bildung und Forschung initiiert wurden. Sie alle verfolgen das Ziel, Forscher zu spezifischen Krankheitsbildern bundesweit und interdisziplinär zu vernetzen, um einen schnellen Transfer von Forschungsergebnissen in die Praxis zu ermöglichen. Der Fokus der aktuellen KKNMS-Projekte liegt auf der langfristigen Verbesserung der MS-Diagnose, -Therapie und -Versorgung. Die Geschäftsstelle ist am Universitätsklinikum Münster angesiedelt.

1952/1953 als Zusammenschluss medizinischer Fachleute gegründet, vertritt die Deutsche Multiple Sklerose Gesellschaft (DMSG) die Belange Multiple Sklerose Erkrankter und organisiert deren sozialmedizinische Nachsorge. Die DMSG mit Bundesverband, 16 Landesverbänden und etwa 800 örtlichen Kontaktgruppen ist eine starke Gemeinschaft von MS-Erkrankten, ihren Angehörigen, fast 4.000 ehrenamtlichen Helfern und 276 hauptberuflichen Mitarbeitern. Insgesamt hat die DMSG fast 43.000 Mitglieder. Mit ihren umfangreichen Dienstleistungen und Angeboten ist sie heute Selbsthilfe- und Fachverband zugleich, aber auch die Interessenvertretung MS-Erkrankter in Deutschland. Schirmherr des DMSG-Bundesverbandes ist Christian Wulff, Bundespräsident a.D.

Multiple Sklerose (MS) ist eine chronisch entzündliche Erkrankung des Zentralnervensystems (Gehirn und Rückenmark), die zu Störungen der Bewegungen, der Sinnesempfindungen und auch zur Beeinträchtigung von Sinnesorganen führt. In Deutschland leiden nach neuesten Zahlen des Bundesversicherungsamtes mehr als 250.000 Menschen an MS. Trotz intensiver Forschungen ist die Ursache der Krankheit nicht genau bekannt.

MS ist keine Erbkrankheit, allerdings spielt offenbar eine genetische Veranlagung eine Rolle. Zudem wird angenommen, dass Infekte in Kindheit und früher Jugend für die spätere Krankheitsentwicklung bedeutsam sind. Welche anderen Faktoren zum Auftreten der MS beitragen, ist ungewiss. Die Krankheit kann jedoch heute im Frühstadium günstig beeinflusst werden. Weltweit sind schätzungsweise 2,8 Millionen Menschen an MS erkrankt.

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