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13.09.2021 – Im August 2021 wurden die ersten Ergebnisse der NOVA Studie kommuniziert, einer Phase IIIb Studie, die die Wirksamkeit zweier unterschiedlicher Dosierungsintervalle (intravenös alle 4 Wochen vs. intravenös alle 6 Wochen) von Natalizumab (Tysabri®) verglichen hat. Im Kern konnte gezeigt werden, dass das extendierte Dosierungsintervall (EID – alle 6 Wochen) statistisch ähnlich wirksam ist wie die Gabe im Standard-Dosierungsintervall (SID – alle 4 Wochen). Die NOVA Studie schließt damit eine wichtige Informationslücke im Hinblick auf die Wirksamkeit von Tysabri® bei Anwendung der derzeitigen Risikominimierungsstrategie EID zur Verhinderung der progressiven multifokalen Leukenzephalopathie (PML).

Zum Hintergrund: 

  • Die Behandlung mit Natalizumab ist mit dem Risiko verbunden, eine progressive multifokale Leukenzephalopathie (PML) zu entwickeln, die durch das JC-Virus ausgelöst wird.
  • Eine retrospektive Datenauswertung des amerikanischen TOUCH Register hatte ergeben, dass ein verlängertes Dosierungsintervall zu einem signifikant niedrigeren PML-Risiko führt als eine Therapie mit dem zugelassenen Dosierungsintervall. Die aktuellsten Analysen berichten eine 88 % Risikoreduktion bei Erweiterung auf ein durchschnittliches Dosierungsintervall von 6 Wochen gegenüber der Standarddosierung alle 4 Wochen. 
  • Beim TOUCH Register handelt es sich um ein von der US Food and Drug Administration (FDA) vorgeschriebenes Register zum Monitoring sicherheitsrelevanter Aspekte unter der Therapie mit Natalizumab – u. a. auch der Entwicklung der PML. In TOUCH standen mehr als 35.000 JCV-Antikörper positive PatientInnen zur Verfügung, an denen die Häufigkeit des Auftretens einer PML unter der Standarddosierung gegenüber drei unterschiedlichen Szenarien eines verlängerten Dosierungsintervalls untersucht werden konnte.
  • Die Frage, ob primär das verlängerte Intervall oder andere Gründe, die zur Ausweitung des Dosierungsintervalls veranlasst hatten, die PML-Inzidenz beeinflussten, bleibt offen. Außerdem sind im TOUCH-Programm keine Daten zur Wirksamkeit enthalten – damit war unklar, ob und bei wie vielen Patienten nach einer Ausweitung des Dosierungsintervalls die MS wieder aktiv wurde.
  • Trotzdem fand ein Hinweis zur Reduktion der PML bei erweitertem Dosierungsintervall bereits Eingang in die Fachinformation: „Es wird angenommen, dass ein im Vergleich zum zugelassenen Dosierungsintervall verlängertes Tysabri®-Dosierungsintervall (durchschnittlich etwa 6 Wochen) bei anti-JCV-Antikörper-positiven Patienten mit einem geringeren Risiko für PML einhergeht. Bei Anwendung eines verlängerten Dosierungsintervalls ist Vorsicht geboten, da die Wirksamkeit eines verlängerten Dosierungsintervalls nicht erwiesen und das damit verbundene Nutzen-Risiko-Verhältnis derzeit nicht bekannt ist.“ Damit wurde das Risiko einer verminderten therapeutischen Wirksamkeit in die Verantwortung des behandelnden Neurologen gelegt. Das KKNMS hatte zu dieser Problematik bereits im Dezember 2019 Stellung genommen (s. PM 16.12.2019). 

„Diese wesentliche Informationslücke bezüglich der Wirksamkeit von Tysabri® bei Verlängerung der Dosierungsintervalle konnte jetzt durch die NOVA Studie geschlossen werden“, so Prof. Dr. med. Frauke Zipp, Direktorin der Klinik und Poliklinik für Neurologie der Universitätsmedizin Mainz und Vorstandsmitglied des KKNMS sowie des Ärztlichen Beirates der DMSG. In der Studie wurde das zugelassene Standard-Dosierungsintervall (standard interval dosing, SID, n = 248) 300 mg intravenös (IV) alle 4 Wochen mit einem verlängerten Dosierungsintervall (extended interval dosing, EID, n = 251), 300 mg IV alle 6 Wochen verglichen. Für den Studieneinschluss mussten die Patienten ≥12 Monate im Standard-Dosierungsintervall mit Natalizumab behandelt worden sein. Beide Gruppen wurden über einen Zeitraum von 72 Wochen verfolgt. Primärer Studienendpunkt war die Anzahl neuer oder vergrößerter T2 Läsionen, die in der SID-Gruppe bei 0.05 und in der EID-Gruppe bei 0.20 lag. Der Unterschied war statistisch nicht signifikant (p=0.0755), wie auch die Unterschiede aller relevanten sekundären Endpunkte. „Das Ergebnis der NOVA Studie belegt somit, dass eine PML-Risikominimierung durch ein verlängertes Dosierungsintervall nicht zu einer verminderten Wirksamkeit der Natalizumab-Therapie führt“, erläutert Prof. Dr. med. Mathias Mäurer, Chefarzt der Neurologie am Klinikum Würzburg Mitte und Sprecher des Fachausschuss Versorgungsstrukturen & Therapeutika des KKNMS. Einschränkend muss gesagt werden, dass mit der NOVA Studie keine Aussagen darüber getroffen werden können, ob das veränderte Dosierungsintervall tatsächlich zu einer PML-Risikominimierung führt. Hier können weiterhin nur die retrospektiven Daten aus dem TOUCH Register zu Grunde gelegt werden.

Angesichts der Daten der NOVA Studie empfiehlt das KKNMS und der „Fachausschuss Versorgungsstrukturen“ des KKNMS in Ergänzung zu der bisherigen Stellungnahme vom 16.12.2019 folgendes praktische Vorgehen bei der Gabe von Natalizumab: 

  1. Angesichts der Daten der NOVA Studie ist einer Umstellung der Gabe von Natalizumab auf ein verlängertes Dosierungsintervall (EID) alle 6 Wochen möglich – man kann von einer vergleichbaren Wirksamkeit ausgehen. Angesichts der retrospektiven Analyse des TOUCH-Registers ist das Risiko für eine Entwicklung einer PML wahrscheinlich geringer – das Vorgehen eignet sich somit als Risikominimierungsstrategie, entbindet den Behandler jedoch nicht von sorgfältigem Monitoring, insbesondere bei JCV-positiven Patienten.
  2. Da das Studiendesign der NOVA Studie nur den Einschluss von Patienten vorsah, die mindestens ein Jahr mit der Standarddosierung behandelt wurden, sollte eine Umstellung erst nach einer Therapiephase mit Standarddosierung vorgenommen werden. Eine Direkteinstellung auf EID wurde nicht untersucht und ist somit auch nicht empfohlen. 
  3. Die Ergebnisse der NOVA Studie beziehen sich auf die i.v. Gabe von Natalizumab. Angesichts der ähnlichen Pharmakodynamik der s.c. Injektion kann aber angenommen werden, dass die Ergebnisse auf die Therapie mit Natalizumab s.c. übertragen werden können.
  • [1] https://www.kompetenznetz-multiplesklerose.de/wp-content/uploads/2019/12/KKNMS_Stellungnahme_Natalizumab-EID_20191216.pdf
  • [2] https://investors.biogen.com/news-releases/news-release-details/biogen-announces-results-phase-3b-nova-study-evaluating-every
  • [3] Foley J, Defer G, Zhovtis Ryerson L, Cohen JA, Arnold DL, Butzkueven H, Cutter G, Giovannoni G, Killestein J, Wiendl H, Smirnakis K, Xiao S, Kong G, Kuhelj R, Campbell N. Primary results of NOVA: a randomized controlled study of the efficacy of 6 week dosing of natalizumab versus continued 4-week treatment for multiple sclerosis. ECTRIMS Abstract 2021. 

Das Krankheitsbezogene Kompetenznetz Multiple Sklerose (KKNMS) ist eines von bundesweit 21 Kompetenznetzen in der Medizin, die vom Bundesministerium für Bildung und Forschung initiiert wurden. Sie alle verfolgen das Ziel, Forscher zu spezifischen Krankheitsbildern bundesweit und interdisziplinär zu vernetzen, um einen schnellen Transfer von Forschungsergebnissen in die Praxis zu ermöglichen. Der Fokus der aktuellen KKNMS-Projekte liegt auf der langfristigen Verbesserung der MS-Diagnose, -Therapie und -Versorgung. Die Geschäftsstelle ist am Universitätsklinikum Münster angesiedelt.

1952/1953 als Zusammenschluss medizinischer Fachleute gegründet, vertritt die Deutsche Multiple Sklerose Gesellschaft (DMSG) die Belange Multiple Sklerose Erkrankter und organisiert deren sozialmedizinische Nachsorge. Die DMSG mit Bundesverband, 16 Landesverbänden und etwa 800 örtlichen Kontaktgruppen ist eine starke Gemeinschaft von MS-Erkrankten, ihren Angehörigen, fast 4.000 ehrenamtlichen Helfern und 276 hauptberuflichen Mitarbeitern. Insgesamt hat die DMSG fast 43.000 Mitglieder. Mit ihren umfangreichen Dienstleistungen und Angeboten ist sie heute Selbsthilfe- und Fachverband zugleich, aber auch die Interessenvertretung MS-Erkrankter in Deutschland. Schirmherr des DMSG-Bundesverbandes ist Christian Wulff, Bundespräsident a.D.

Multiple Sklerose (MS) ist eine chronisch entzündliche Erkrankung des Zentralnervensystems (Gehirn und Rückenmark), die zu Störungen der Bewegungen, der Sinnesempfindungen und auch zur Beeinträchtigung von Sinnesorganen führt. In Deutschland leiden nach neuesten Zahlen des Bundesversicherungsamtes mehr als 250.000 Menschen an MS. Trotz intensiver Forschungen ist die Ursache der Krankheit nicht genau bekannt.

MS ist keine Erbkrankheit, allerdings spielt offenbar eine genetische Veranlagung eine Rolle. Zudem wird angenommen, dass Infekte in Kindheit und früher Jugend für die spätere Krankheitsentwicklung bedeutsam sind. Welche anderen Faktoren zum Auftreten der MS beitragen, ist ungewiss. Die Krankheit kann jedoch heute im Frühstadium günstig beeinflusst werden. Weltweit sind schätzungsweise 2,8 Millionen Menschen an MS erkrankt.

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